Warum sollten wir Probleme mehr wertschätzen, Hannes?

Ob in Unternehmen oder in Teams: Probleme sind in der Arbeitswelt allgegenwärtig. Doch ein Problem ist kein Problem, findet unser Kollege Hannes Koppel. In unserer Coffee Break erklärt er, warum Probleme in unserem Arbeitsalltag für mehr Wirksamkeit sorgen und wieso wir sie mehr wertschätzen sollten. Eine Ode an das Problem.

Hannes, was hat ein “Problem” mit Wirksamkeit bzw. wirksamer Arbeit zu tun?

Wer kennt es nicht? Wir haben keine Probleme, wir haben Herausforderungen… Mit diesem Satz deuten wir Probleme vermeintlich positiv(er) um: ein Euphemismus mit Demotivationspotential. Der ureigenste Sinn & Zweck eines Unternehmens bzw. einer Organisation ist es, Probleme zu lösen, die Einzelpersonen nicht in der Lage zu lösen sind. Mit der gefundenen Lösung haben wir das Problem gelöst und waren vor allem eins: wirksam! Und die Wirksamkeit zählt zu den grundlegenden Bedürfnissen eines jeden Menschen. Wir wollen mit dem, was wir tun, wirksam sein. Und genau das erzielen wir bei der Lösung von Problemen. Ein Grund, warum wir bei der Übertragung von zu lösenden Problemen in der Regel viel stärker motivieren als bei der Übertragung einzelner Aufgaben.

Und was ist das Problem mit der Umschreibung als Herausforderungen?

Probleme werden wirksam gelöst. Herausforderungen “nur” gemeistert und in der Regel individualisiert. “Das ist doch eine schöne Herausforderung für Dich, daran kannst Du wachsen”, haben viele schon oft gehört. Und wie fühlen wir uns dabei? Nicht selten werden damit unangenehme Aufgaben abgeschoben und ein hierarchisches Machtgefälle manifestiert.

Darüber hinaus zeigt das Problem einen dringend nötigen Handlungsdruck, während die Herausforderung eher in der “nice to have”-Kategorie angesiedelt ist. So sind im Arbeitskontext die Herausforderungen meist weniger wichtig als die Probleme. Denn mit der Lösung von Problemen tragen Unternehmen bzw. Organisationen direkt oder indirekt zur Wertschöpfung bei, verdienen ihr Geld und sichern damit die Existenz. Das ist bei Herausforderungen nicht so.

Wie können wir Probleme mehr wertschätzen?

Zunächst einmal, indem wir sie als solche akzeptieren und ihnen auch auf den Grund gehen (dürfen).

„Wenn ich eine Stunde Zeit hätte, um ein Problem zu lösen, würde ich 55 Minuten damit verbringen, über das Problem nachzudenken und fünf Minuten über die Lösung“ – sagte schon Albert Einstein.

In der Realität hört man aber eher: “Wer Probleme sieht oder hat, sollte zum Arzt gehen”. Damit werden Probleme negativ konnotiert und ein verständlicher Wunsch nach schnellen Lösungen resultiert. So ist in dem Zusammenhang die Lösungsorientierung ein für mich völlig überbewerteter Begriff. Oft führt unsere Lösung am eigentlichen Problem vorbei, obwohl wir doch extrem lösungsorientiert gehandelt haben. Denn wenn wir kein wirkliches Verständnis für das eigentliche Problem haben, gibt es am Ende eine Lösung, für die wir aber erst noch das Problem suchen müssen.

Also: Ich habe eine Lösung, wo ist das passende Problem?

Natürlich wollen wir uns nicht ewig in Problemen suhlen und zu keiner Lösung kommen. Menschen, die nur Probleme sehen, nerven und können auch ganz schön bremsen. Daher stammt sicherlich auch der Wunsch bzw. die  Aufforderung, bei jedem adressierten Problem mit mindestens einer Lösung bzw. einem Lösungsvorschlag anzukommen. Das setzt aber die Problementdecker häufig stark unter Druck, sodass sie die Probleme lieber nicht benennen. Dabei sind Personen, die Probleme sehen, für jede Organisation enorm wichtig.

Aber: Nur Probleme sehen wollen wir natürlich auch nicht. Deshalb braucht es eine Balance zwischen Problem- und Lösungsorientierung, wobei der Fokus allerdings oft zu stark auf der Lösungsorientierung liegt.

Wie stellt man diese Balance her?

Es lohnt sich, dem Problem etwas Zeit zu widmen. Denn erst, wenn wir wirkliche Probleme lösen, fühlen wir uns wirksam. Um sich einem Problem zu nähern, bietet sich beispielsweise die Five-Whys-Methode von Toyoda Sakichi (Toyota) an. Dabei bauen 5 Warum-Fragen systematisch aufeinander auf.

Es gibt viele Beispiele dafür, hier nur eines:

  1. Warum kann ich nicht drucken?

Weil die Druckerpatrone leer ist.

2. Warum sind die leeren Patronen noch nicht ersetzt?

Weil keine vollen Patronen da sind.

3. Warum sind keine vollen Patronen da?

Weil niemand Patronen bestellt hat.

4. Warum wurden noch keine Patronen bestellt?

Weil unklar ist, wer welche, wie bestellen darf.

5. Warum ist das noch unklar?

Weil der Einkaufsprozess zentralisiert und noch nicht abschließend kommuniziert ist.

Die mögliche Lösung: den Einkaufsprozess klar kommunizieren und erklären.

Was gilt es bei dieser Methode noch zu beachten?

Mit 5 Fragen sind wir sehr schnell und einfach dem Problem auf den Grund gegangen. So kann mit dieser Methode jedes Problem stärker durchdrungen werden. Und natürlich müssen es nicht immer fünf Fragen sein und man könnte auch weiterfragen, z.B. warum wurde der Einkaufsprozess noch nicht abschließend kommuniziert? Man kann die Warum-Fragen also weiter- und weiterführen. Spätestens, wenn wir uns mit den Warum-Fragen im Kreis drehen, oder die Antworten ins absurde abdriften bzw. uns vom Problem wegführen, ist ein Zeitpunkt erreicht, um die Fragen zu beenden.

Zu jeder Warum-Frage gehört also immer der Check: Bringt die Antwort auf die Frage uns näher zu der Möglichkeit, eine passende Lösung zu finden, die hilft? Denn wenn wir ausreichend nah am Kern eines Problems dran sind, bietet sich uns die Chance, eine Lösung zu finden, die zukünftig die Arbeit erleichtert bzw. verbessert.

Im Alltag nehmen wir uns häufig zu wenig Zeit, um unsere Probleme wirklich als Probleme zu akzeptieren und zu verstehen. Stattdessen deuten wir sie in Herausforderungen um oder fokussieren uns zu früh auf Lösungen. Dabei fokussieren wir uns meist zu häufig “nur” auf Quick Wins, die uns letztlich bei der Lösung des Problems nicht viel weiterbringen. Also lasst uns die Probleme mehr wertschätzen.

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